Zauberjäger – 1 Auftakt

8. Mai 2020 2 Von angela

Ein spiritueller Kriminalroman

Angela Kämper

Hier von mir vorgelesen Teil 1 von „Zauberjäger“

1

Die Axt sauste mit aller Wucht aus gut zwei Meter Höhe nieder und drang ungehindert in den Klotz aus Birkenholz ein. Den nächsten Weg über die gleiche vertikale Strecke legten nun Birkenholz und Axt zusammen zurück. Das ungleiche Paar prallte mit aller Kraft gemeinsam auf den Holzblock und ließ dabei den Birkenbaumstamm unter hölzernem Ächtzen zerbersten. Mit einem hohlen Plopp fielen die beiden Baumstammhälften links und rechts vom Holzamboss ins Gras.

Marie wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Der Schweiß tat ihr gut. Er spülte alles raus. Das Hauen und Stechen auf dem Holz brachte alles in ihr in Wallung, so dass sich endlich auch ihr Knoten im Bauch rührte. Er schien sich langsam zu lösen – endlich.

Bei ihrer Meditation heute morgen hatte sie nur gespürt, dass sie nichts mehr spürte. Ihr Kronenchakra suchte noch die Verbindung nach oben, ließ ein wenig Licht hinein. Aber nicht sehr weit nach unten: Die unteren Chakren waren wie zu. Sie spürte nicht einmal mehr ihre Verschlossenheit. Nichts war in ihrem Becken und ihrem Bauch. Nichts. Ihre Energiezentren waren wie gar nicht vorhanden.

In diesem Zustand half nur körperliches Berserkern – das kannte sie schon. Ranklotzen – oder Holzklotzen – im wahrsten Sinne des Wortes, bis sich durch die körperliche Erschöpfung endlich der Knoten löste, platzte, platzen musste, weil nichts mehr ihn zusammenhielt. Dass dabei noch Holzscheite für den Kamin raussprangen, war ja nur von Vorteil – so wie zwei Fliegen mit einer Klappe.

Auch so ein blöder Spruch, besonders für eine überzeugte Vegetarierin. Fast wäre ihr noch „eingefleischte“ Vegetarierin durch den Kopf geschossen.

Die deutsche Sprache konnte schon ganz schön gewalttätig sein, als würden sich in diesem Land hier nur Metzger mit Soldaten unterhalten.

Marie schüttelte mit dem Kopf ihre wirren Worte aus selbigem und platzierte rasch eine weitere Birkenstammscheibe auf dem Schlagklotz. Mit gleicher Kraft holte sie mit ihrer Axt zum nächsten Schlag aus. Marie und das Holz seufzten unter dem Schlag auf, Marie mit einer Art wegwerfender Erleichterung, dem Holzklotz blieb schon aus physikalischen Gründen nichts anderes übrig.

Noch eine gute halbe Stunde lief dieses Wechselspiel aus ächzendem Holz und seufzender Frau ab, als Maries Diensthandy unter Salsarhythmen in ihrer Hosentasche vibrierte.

Marie senkte die Axt, legte sie ins Gras und streifte ihre Arbeitshandschuhe ab. Rasch griff sie sich in ihre Gesäßtasche und holte den vibrierenden Silberling hervor:

„Mochita, moin, moin. Was gibt’s denn an diesem sonnigen Morgen im hohen deutschen Norden?“

„Chefin“, entgegnete ihre mexikanische Sekretärin, ihre wahrlich mehr als exotische Stütze in der Rendsburger Behörde, die gute Seele in jeglicher Hinsicht.

„Wir haben eine Leiche, Chefin. Gar nicht schön. Eine kleine Leiche. Madre…“

Mochita schluckte schwer am anderen Ende.

„In der Aalkate ist was gefunden worden.“

„Mochita, ich danke Ihnen. Ich bin schon unterwegs.“

„Dass Menschen so etwas tun!“

Die Mexikanerin in den Sechzigern hatte schon einiges gesehen und erlebt und war eigentlich nicht so schnell zu erschüttern. Doch jetzt rang sie am anderen Ende regelrecht um ihre Fassung.

„Dass Menschen so etwas tun können!“ wiederholte sie stockend.

Und mit klarer Aufforderung zu Marie: „Passen Sie gut auf sich auf, Chefin, bitte!“

Selbst nach über zehn gemeinsamen Dienstjahren siezten sich die beiden Frauen noch – was aber ihrer Zuneigung füreinander und ihrer gegenseitigen Achtung keinerlei Abbruch tat. Im Gegenteil schien es gerade ihre Arbeitsdistanz zu ermöglichen, dass sie dennoch einen zarten, aber steten Austausch ihrer spirituellen Erfahrungen und Entwicklungen pflegten. Und so bedankte sich Marie mit großem Selbstverständnis für Mochitas: „Ich bete für Sie und lege einen Schutzkreis um Sie, Chefin. OK?“

„Gerne, Mochita. Vielen Dank. Wenn das so heftig ist, passe ich auch besonders gut auf mich auf.“

Marie war während des Telefongesprächs schon ins Haus gegangen und murmelte nun unverständliche Worte vor sich hin: Om namah shivaya. Om namah shivaya. Om namah shivaya. Om namah

Auf dem Weg nach Rendsburg fiel Marie ein, dass ihr Sohn Lukas heute Morgen beim Frühstück eine sonderbare Bemerkung gemacht hatte. Die Worte hatte Marie schon heute Morgen nicht verstanden, genausowenig, wie sie sie jetzt verstand. Überhaupt verstand sie Lukas häufig nicht. Manchmal war ihr ihr eigener Sohn sogar ein wenig unheimlich.

Hatte er doch vor Jahren einmal beim Abendessen vor versammelter Mannschaft – das waren er, sie, ihre Mutter Klara, ihr langjähriger Freund Andreas mit seiner damaligen Flamme Susann – zwischen Pellkartoffeln mit Stippe und Salat wie nebenbei den Satz fallen lassen: „Susann´s Mama war heute Nacht bei mir. Sie hat gewunken und ist dann mit Susann´s Papa durch den Himmel gegangen.“ Zwei Stunden später erhielt Susann einen Anruf von der Polizei, dass ihre Mutter in der Nacht tödlich verunglückt sei.

Da war Lukas ganz wie sein Großvater. Der war auch so ein Spökenkieker gewesen. Marie lag irgendwie dazwischen. Sie war eher für die grobschlächtigen – wieder so ein deutsches Metzgerwort – spirituellen Angelegenheiten zuständig. Sie war doch noch dabei, zu üben, beim Meditieren überhaupt erst einmal den Kopf leer und frei zu kriegen. „Ihre Männer“ brauchten das wohl nicht. Hein, ihr Vater, süppelte sich ganz gerne einen, wie er sagte, „kippte er sich eben gerne mal einen hinter die Binse“ – die norddeutsche Variante der gutsituierten Trinkrechtfertigung. Und hin und wieder seine Zigarre ließ er sich auch von nichts nehmen, der Spökenkieker vom Dorf, zu dem selbst gestandene Bauern kamen, die sonst an kaum mehr glauben, als was sie mit ihren groben Händen fassen konnten.

Jedenfalls hatte Lukas heute morgen bemerkt: „Da liegt ein schwarzes Baby in einer Holzkiste, wie eine Puppe. Das Baby weint, ganz leise weint es. Jetzt hört es auf zu weinen. Aber es lacht auch nicht, nie mehr.“

Marie war ein Schauer über den Rücken gelaufen. Sie hatte inzwischen gelernt, Lukas Worte zu hören, sie ernst zu nehmen, auch wenn sie ihren Sinn zunächst nicht verstand. Meist fielen sie ihr in der passenden Situation wieder ein, erklärten sich dann aus den Umständen wie von selbst und halfen ihr manchmal sogar sehr viel schneller auf die Sprünge. Und zwar auch bei ihrer Arbeit.

Jetzt schauderte sie – wesentlich stärker noch als heute morgen. Sie fuhr in die Aalkaate, zu einem Leichenfund. Ihre Kollegen hatten von einer grausigen Babyleiche gesprochen. Sie öffnete das Fahrerfenster ihres Peugeot und zog die kalte Luft ein. Wohl direkt aus Sibirien, die Kälte schmerzte regelrecht in ihren Lungen. Tat aber dennoch gut. Und die Kälte passte.