Ausschnitt: in Persepolis

Ausschnitt: in Persepolis

Währen die anderen vor dem Eingang zu Darius‘ Felsengrab die Energie halten, begeben sich der amerikanische Soldat Jimmy und sein treuer Begleiter, der weiße Tibet-Terrier Sonam, auf der Suche nach einem weiteren, dem hebräischen Sprach-Artefakt, in die Höhle hinein.

Immer lauter hallen die schweren Militärstiefel des Amerikaners in dem Felsengang wieder. Sonam läuft äußerst aufmerksam an seiner rechten Seite. Seinen kleinen Kopf trägt er hoch erhoben, die Ohren steil aufgerichtet. Ebenso seinen Schwanz.

Jimmys Taschenlampe leuchtet links und rechts des Gangs die Wände ab. Nichts als blanker Fels. Gut zwanzig Meter gehen die beiden den schmalen Gang entlang. Dann biegt der Gang abrupt steil ab. Aber nicht nach links oder rechts, sondern nach unten. Jimmy hätte sich beinahe lang hingelegt, wenn Sonam ihm nicht vor die Füße gelaufen wäre.

‚Das sind mindestens dreißig Prozent Gefälle,‘ geht es durch Jimmys Kopf.

Eine gefühlte Unendlichkeit bohrt sich der steile Felsengang tiefer und tiefer in den Berg hinein. Jimmy hört sein Blut in den Ohren rauschen, untermalt von dem Rhythmus seiner Stiefeltritte und dem sehr viel schnelleren Tapsen der Hundenägel auf dem Fels.

Mit einem Mal hat Jimmy das Gefühl mit seinem Kopf gegen etwas zu laufen. Nicht so etwas hartes wie ein Felsvorsprung oder ein Holzbalken, den hätte er ja auch gesehen. Dumpf ist sein Kopf gegen etwas zwischen Schaumstoff und Watte gestoßen. Jimmy tritt einen Schritt zurück und greift mit der Hand nach oben. Da ist nichts. Dort, wo er mit seinem Kopf anzustoßen geglaubt hat, greift seine ausgestreckte Hand ins Leere. Er geht den Schritt wieder vor – und wieder trifft sein Kopf auf etwas Halbweiches.

‚Vielleicht ist dieses komische Etwas nur hier oben,‘ denkt er.

Jimmy geht in die Knie und will im Entengang unter dem mysteriösen Hindernis hindurchgehen. Sein vorgestrecktes Knie geht durch, doch erneut bleibt sein Kopf an einem dumpfen Hindernis stecken. Jimmy verliert das Gleichgewicht und sitzt platt auf seinem Hosenboden.

Sonam ist unterdessen zwei Meter vorgelaufen. Ihm scheint dort unten auf Tibetterrierhöhe nichts den Weg zu versperren.

Langsam schiebt Jimmy ein Bein in Richtung Sonam. Nach der schmerzhaften Erfahrung mit der mexikanischen Mauer ist er vorsichtig geworden mit der körperlichen Überschreitung von wie auch immer gearteten Grenzen, die sich ihm in den Weg stellen. Sein Fuß geht auf Terrierhöhe anstandslos durch die vermeintliche Sperre. Er hebt langsam sein Knie an. Auch das geht einfach durch. Auch seine Hände kann, egal auf welcher Höhe er sie hält, problemlos durch diese Sperre schieben. Als er an anderer Stelle seinen Kopf vorbeugt – wieder die dumpfe, undurchlässige Barriere.

‚Fuck. Kopflos will und kann ich hier aber echt nicht weiter!‘

Sonam läuft unterdessen einige Male durch diese offensichtlich energetische Barriere hin und her. Dann bleibt er mitten in der von Jimmy gespürten Barriere stehen.

‚Weißt du, was hier los ist?‘ Jimmy stutzt kurz. ‚Ich frage jetzt tatsächlich einen kleinen weißen Hund, mir zu helfen , etwas zu verstehen, was ich selbst nicht begreifen kann! Gleich werde ich ihn noch bitten, mir zu helfen!‘

‚Klar helfe ich dir, Amerikaner.‘ kommt es nur trocken von unten. ‚Hier ist eine Wand von seltsamen Schwingungen. Ich glaube, das hat mit den unterschiedlichen Schwingungen unserer Gehirne zu tun, dass mein Kopf hier durchkommt, deiner aber nicht. Meine Frequenz ist offenbar höher als die der Energiebarriere hier. Deine ist niedriger. Deshalb bleibt dein Kopf wohl hier hängen.‘

‚Nein. Ich diskutiere jetzt nicht wirklich mit einem Hund über Gehirnfrequenzen!‘

‚Bleibt dir wohl nichts anderes übrig,‘ kontert Sonam freundlich.

Nach einer kurzen Pause: ‚Wir haben dich doch schon hochgetuned. Und auch jetzt wird deine Energie von außen angehoben:‘

‚Vielleicht liegt es an dem steilen Schacht hier nach unten. Vielleicht kommen die anderen gar nicht bis hierhin.‘

‚Nein. Die Energieanhebung hat nichts Raum und Zeit und schon gar nicht mit Felsen, egal wie dick, zu tun. Das schwingt auf der geistigen Ebene, jenseits von dem, was du anfassen kannst. Es hat was mit deinen Hirnströmen zu tun. Wenn du schläfst, geht deine Hirnfrequenz runter, unter vier Hertz. Aber du schläfst doch jetzt nicht, oder?‘

‚Machst du Scherze, Sonam. Ich bin hellwach und denke nach.‘

‚Gut. Dann müssen wir deine Gedanken mehr bündeln. Auf einen Punkt hin zusammenlaufen lassen. Ich gehe jetzt auf die andere Seite und du schaust nur auf mich. Und du denkst nur an diesen einen Gedanken: Ich will jetzt bei diesem seltsamen kleinen sprechenden und klugen weißen Hund sein. Sag dir immer wieder nur diesen einen Satz: Ich will jetzt bei diesem seltsamen kleinen sprechenden und klugen weißen Hund sein. Dreißig oder vierzig Hertz werden wir nicht schaffen. Das kann nur Nyima. Aber zwanzig müssten wir hinkriegen. Das schaffst du doch, oder?‘ spornt Sonam den Ehrgeiz seines amerikanischen Freundes an. So gut kennt er Jimmy inzwischen.

‚Yep!‘ Und noch während der kleine Hund auf die andere Seite der Barriere tapst, murmelt Jimmy den vorgegebenen Satz vor sich hin. Jimmy nimmt sich so stark zusammen, wie er nur kann. Er konzentriert sich voll auf die Position des kleinen Hundes.

Mit einem Mal spürt Jimmy, das etwas anders ist, dass er es jetzt noch mal versuchen sollte. Und tatsächlich. Jetzt geht sein Kopf mit dem Rest seines Körpers den entscheidenen Schritt vorwärts, als wäre nie etwas anders gewesen.

Und weiter geht’s für die beiden bergab. Nach wenigen Metern in eine kleine Höhle mit rohen Felswänden.

‚Mach mal bitte das Licht aus:‘ sagt Sonam.

Mit dem Erlöschen der Taschenlampe erleuchten unzählige leicht bläuliche Lichtpunkte in der Höhle. Manche pulsieren. Andere bewegen sich. Wieder andere sehen aus wie von der Felsendecke herunterhängende blau leuchtende Quallen. Allmählich lässt das bläuliche Leuchten wieder nach und die beiden stehen im Stockfinstern.

‚Kann es sein, dass hier tief im Berg, in diesen Felsen, ohne jegliches Sonnenlicht, irgendetwas leben kann?‘ fragt sich Jimmy.

‚Ja, hier sind Lebewesen. Sogar sehr viele.‘ antwortet Sonam.

‚Was du alles weißt, kleiner weißer Hund!‘ Jimmy schaltet seine Taschenlampe wieder ein. ‚Sind eigentlich alle Hunde so schlau wie du?‘

‚Die einen so. Die anderen so.‘ ist die Antwort. ‚Ich spüre die leuchtenden Wesen hier. Ich versuche, mit ihnen zu sprechen. Aber sie sind sehr wortkarg. Sie sagen nur, dass sie da sind. Sie wollen nicht gestört werden. Wir sollten einfach weitergehen.‘

In Schlangenlinien führt der Felsgang wieder nach oben. Dann endet er abrupt. Jimmy leuchtet in die Umgebung. ‚Fuck. Eine Sackgasse!‘

Jimmy blickt fragend nach unten, wo er Sonam vermutet. Doch kein weißes Fell strahlt ihm entgegen. Er sucht alles mit der Taschenlampe ab. Nirgends ein Sonam.

‚Hey, Bursche! Nicht einfach abhauen und mich hier allein lassen!‘

‚Das würde ich nie tun.‘ kommt die inzwischen vertraute Stimme – von oben. Jimmy richtet den Strahl der Taschenlampe senkrecht über sich. Da lugt ein kleines weißes Hundeköpfchen mit wachen dunklen Augen aus den Felsen hervor.

‚Du Lümmel, mich so zu verjagen. Schnell ’ne Merkabah gebaut und teleportiert, was?‘

‚Yep!‘ immitiert Sonam den Amerikaner. ‚Hier ist ein Felsvorsprung, auf dem ich jetzt stehe. Dann kommt ein Wendelgang nach oben. Wie eine Schnecke. Und dann – schau selbst! Da müssen wir hin.‘

Während Jimmy Anlauf nimmt, mit aller Kraft abspringt und seine großen, kräftigen Hände Halt auf dem Felsvorsprung finden, geht ihm durch den Kopf: ‚So eine Merkabah ist schon ganz schön praktisch.‘

Der durchtrainierte Soldat zieht sich an dem vorstehenden Felsen hoch, wirft seinen rechten Fuß auf die Felsplatte und zieht sich ganz hinauf. Er folgt Sonam durch den sich steil nach oben windenden Gang, der nach oben immer schmaler zuzulaufen scheint.

‚Tatsächlich wie ein Meeresschneckengehäuse.‘

‚Sag ich doch!‘ kommt durch die Öffnung, wo die Spirale zu enden scheint.

‚Ok. Ok. Du Teleportierer. Bloß – komm ich da durch?‘

‚Try!‘

‚Ach. Englisch kannst du auch!‘

Jimmy greift mit beiden Händen seitlich um den Rand der Öffnung. Tatsächlich passen seine breiten Schultern so gerade eben zwischen seinen angewinkelten Armen hindurch. Jimmy zieht sich langsam hoch, die Taschenlampe im Mund. Die ersten Lichtstrahlen fallen als kräftiges Gold auf seine Augen zurück.

‚Wow!‘ noch ehe er ganz auf dem Boden zu stehen kommt.

‚Yep!‘ kommentiert Sonam.

Die beiden stehen in einer großen Höhle, eigentlich einer Halle, einem prunkvollen Saal. Die sauber ausgemeißelten Wände erstrahlen in reinstem Gold. Darauf sind zahlreiche Inschriften, Bilder und Zeichnungen zu erkennen, meist in Schwarz, nur einige in bunten Farben.

Selbst Jimmy spürt sofort eine mächtige Energie, die von den Buchstaben und Bildern ausgeht. Ihre Botschaften dringen unvermittelt und ungefiltert in seinen Verstand ein. Ihm ist, als würde die gewaltige Menge an Informationen aus den Wänden direkt auf ihn einstürzen, seinen Kopf füllen und füllen und füllen.

Aus anfänglichem Kopfdruck wird Schmerz, mächtiger Schmerz. Sein Kopf scheint zu platzen, so voll fühlt er sich an, so unvorstellbar stark ist der Schmerz. Jimmy reißt die Arme hoch und presst von außen mit aller Kraft seine Hände gegen seine Schläfen. Dann sinkt der Soldat halb bewusstlos zu Boden. Jimmy verdreht seine Augen und windet sich am Boden, um sich schlagend, wie bei einem epileptischen Anfall. Sonam schleckt ihm durch sein Gesicht. Aber der Amerikaner reagiert nicht mehr auf ihn.

Vor dem Grabeingang lungern zwischen den Mantren rezitierenden Astralkörpern von Jihane, Ming Chen, Rosa, Moshe und Nyimas Touristen herum, einige von ihnen mitten durch die Gruppe hindurch. Die Fünf lassen sich jedoch durch nichts stören.

Mit einem Mal ruft Nyima aus: ‚Sonam ruft. Ich muss sofort rein. Macht weiter.‘

Und ist schon mit einem kurzen Aufleuchten ihres Energiekörpers verschwunden.

Zunächst landet Nyima in dem kleinen Höhlenraum mit den fluoreszierenden Lebewesen. Es ist stockfinster. Nyima vernimmt nur ein sehr leises Wispern der kaum leuchtenden Höhlenbewohner: ‚Höher!‘

Die tibetische Nonne konzentriert sich erneut und steht sogleich neben dem am Boden um sein Leben krampfenden amerikanischen Soldaten.

Nyima ist hellwach und fokussiert. Die einige Meter weit auf dem Boden hin und her rollende Taschenlampe wirft schwankendes diffuses Licht auf Jimmy und die Situation.

‚Sonam, stell dich bitte vor die Füße des Amerikaners und halte die Energie.‘

Nyima geht rasch zu dem sich hin und her wiegenden Kopf des Amerikaners. Unter laut ausgestoßenen, kraftvollen tibetischen Beschwörungsformeln, unterstützt von dem kräftigsten Knurren, das Sonams kleiner Hundekörper hervorbringen kann, greift die kleine Nonne mit den Händen energisch immer wieder über seinen Kopf und scheint das, was sie dort Unsichtbares zu fassen bekommt, im weiten Bogen von Jimmys Schädel fortzuwerfen. Immer wieder greifen ihre über Jimmys Schädel, fassen mit aller Kraft zu, fast so, als wollten sie ihm etwas aus dem Schädel herausziehen. Und im weiten Bogen schleudert Nyima dieses Etwas mit jedem Handgriff von ihm weg.

Während Nyima weitere Gebete und Beschwörungsformeln murmelt, langen ihre Hände unter ihr Gewand. Aber ihre Hände greifen durch alles hindurch.

‚Sonam, bitte hilf mir. Zieh bitte den geschnürten Beutel hervor.‘

Und mit seinen kleinen Mäulchen zerrt der kleine Terrier den Beutel unter Nyimas Gewand hervor. Verschiedene Steine und weitere kleinere Säckchen fallen zu Boden.

‚Das rote Säckchen, Sonam. Die Kräuter darin müssen sofort auf die Brust des Amerikaners.‘

Sonam nimmt das kleine rote Säckchen in sein Mäulchen und stellt sich damit auf Jimmys Brust. Dann hält er das Kräutersäckchen zwischen seinen Vorderpfoten fest und beißt hinein und zieht und zerrt, bis der grobe Stoff des Säckchens mit einem reißenden Geräusch nachgibt. Sonam nimmt das zerfetzte Säckchen zwischen seine Zähne und schüttelt über Jimmys Brust wild seinen Kopf. Der Beutelinhalt stiebt in alle Richtungen auf Jimmys Militärhemd. Schließlich ist Jimmys Brust von einer feinen dunkelgrünen Schicht aus getrockneten Kräutern bedeckt.

Nyima murmelt währenddessen hoch konzentiert ihre Gebetsformeln.

Daraufhin schnappt Jimmy unter heftigem Aufbäumen seines Oberkörpers nach Luft. Sonam springt zur Seite, um nicht von einer Arm oder einem Militärstiefel des Amerikaners getroffen zu werden. Jimmy strampelt und tritt um sich, wie ein Fisch auf dem Trockenen.

‚Nun brauchen wir den Larimar* (*ein Larimar oder Atlantis-Stein, ein starker Schutzstein gegenüber negativen Einflüssen; der Legende nach sprachen die Bewohner von Atlantis mit diesen hell- oder weißblauen Steinen), Sonam. Das ist der milchig weiß-blaue Stein. Auf sein drittes Auge.‘

Larimar - Stein

Nyima unterbricht kaum ihre kraftvollen Gebete.

Sonam nimmt daraufhin den weiß-blauen Stein in sein Mäulchen und versucht ihn so gut wie er vermag irgendwo auf den Schädel des krampfenden Amerikaners zu platzieren. Doch Jimmys Kopf zuckt und schlägt unkalkulierbar hin und her. Es gelingt Sonam nicht, den Stein auf den Kopf zu legen.

Da nimmt der kleine Hund den Stein so weit an einem Ende ins Mäulchen wie möglich, sodass der größte Teil des Larimars frei herausschaut. Dann legt er sich mit flachem Vorderkörper hin. Sein Hinterteil steht. So kann er besser agieren und ausbalancieren. Seinen Kopf hat Sonam etwas vorgestreckt, aber so flach wie möglich auf den Boden gelegt. Sonam’s Plan geht auf. Mit dem nächsten Kopfzucken und zur Seite werfen landet Jimmy’s Stirn auf dem Larimar-Stein. Fast augenblicklich hört sein Körper auf zu krampfen.

Jimmy rollt sich auf den Rücken. Jetzt kann Sonam den Larimar auf Jimmys Stirn platzieren, mittig, etwas höher als die Augenbrauen. Schlagartig öffnet der Amerikaner die Augen und starrt den kleinen weißen Tibetterrier groß an.

‚Fuck. Was ist passiert Kumpel?‘

‚Der Fluch des Darius.‘ ist die nüchterne Antwort Nyimas von der Seite.

‚Sonam. Jetzt bitte den runden Türkis.‘

Der Hund rollt geschickt mit seinen Vorderpfoten, unterstützt von seiner richtungskorrigierenden Schnauze, eine tennisballgroße Kugel aus Türkis in die Mitte des Felsensaals. Innerhalb weniger Augenblicke verdunkelt sich der zuvor hell türkis leuchtetende Stein. Es dauert nicht lange und der Türkis ist tiefschwarz.

Nun rollt Sonam die schwarze Steinkugel geschickt mit seinen kleinen weißen Pfötchen zur oberen Öffnung des Schneckenaufgangs und schiebt sie über den Felsrand. Wie bei einem gigantischen Murmelspiel schallt das Klickediklack in die Halle hinauf. Der schwarze Türkis rollt und springt durch den Spiralgang. Begleitet wird das Steinklickern von einem Schwall furchtbarer Äußerungen dubioser Wesenheiten, von widerwärtigen Lauten, Ausstoßungen, Rufen und Schreien. Als die Kugel schließlich mit einem lauten Knall und einem letzten sich aufbäumenden Stimmenwirrwarr am Grund des Schneckenganges zerspringt, ist es endlich still.

‚Danke, Nyima. Ich denke mal, du hast mir gerade das Leben gerettet.‘ Jimmy ist ganz leise.

‚Sonam hat gerufen.‘

‚Danke, mein kleiner schlauer Freund.‘

Jimmy tätschelt Sonams Nacken, während dieser dem noch liegenden Amerikaner mit der Zunge quer durch dessen Gesicht zieht. ‚Ich pass nur auf dich auf. Hab ich doch versprochen.‘

‚Kannst du schon aufstehen, Amerikaner?‘ fragt Nyima. ‚Du solltest dich nicht allzu lange hier aufhalten. Die Energien hier sind sehr stark. Darius war ein sehr mächtiger König.‘

Jimmy versucht sich vorsichtig hochzurappeln. Aber seine Arme tragen ihn noch nicht. Er kann sich noch nicht hochstemmen. Er hat noch ein benommenes Gefühl im Kopf. Aber immerhin ist dieser unglaubliche Druck, der so plötzlich von außen gekommen war, komplett verschwunden.

‚Danke Nyima!‘ Jimmy ist inzwischen mehr als beeindruckt von der kleinen tibetischen Nonne. Spürte er doch in diesem Moment so klar die Beschränktheit, die törichte Enge seiner mit Hochmut gefüllten Vorurteile gegenüber fremden Ethnien. Wer anders aussah, in seinen Augen einfach gestrickt oder nach seinen Maßstäben arm war, den hielt er erst einmal für beschränkt und dumm. Auf jeden Fall aber die USA und sich stets für etwas besseres. In Afghanistan war diese Denke unter all den anderen jungen amerikanischen Soldaten auf die Spitze getrieben.

Hier in dieser Darius-Höhle, mitten in einem felsigen Berg im Iran, begann Jimmy zu spüren, dass es sehr viel mehr gab als den american way of life.

‚Lass dir Zeit.‘ reagiert Nyima auf Jimmy noch etwas gequälte Versuche aufzustehen. ‚Ich schau mich um. Sonam bleibt bei dir.‘

Ohne eine Antwort abzuwarten schwebt die Tibeterin durch den riesigen Felsensaal davon. Ihr reicht das immer dünner werdende diffuse Licht von Jimmys Taschenlampe, die sich inzwischen ausgerollt hat und einen ruhigen Lichtstrahl etwa in ihre Richtung abgibt. Nyima spürt mehr als das sie sieht, in welche Richtung sie muss.

Ihr kommt das Bild ihrer geheimen Bibliothek in ihrem eigenen Kloster in den Sinn. Sie kommt zum gegenüberliegenden Ende von Darius goldenem Felsensaal. Es scheint keine weiteren Gänge oder Türen zu geben. Auf einer Felsempore steht ein prächtig verzierter und mit reichlich Gold überzogener quaderförmiger Sarkophag. Nyima spürt, dass sich darin die sterblichen Überreste des einstigen Herrschers über das Große Persische Reich befinden. Noch immer geht eine starke Energie von Darius aus.

Ihre innere Stimme zieht sie hinter die Sarkophag-Empore. Nyima sucht mit ihrem dritten Auge die vergoldete Felswand ab. An einer Stelle hält sie inne. Sie hat einen energetischen Unterschied in der Felswand ausgemacht. Im Vergleich zur übrigen Felswand kommt aus einem sehr schmalen senkrechten Spalt eine deutlich höherfrequente Strahlung hervor. Nyima spürt es sehr deutlich. Hinter dieser Stelle der Felswand ist ein Hohlraum und dahinter befindet sich etwas, das eine sehr hohe Energie hat. Nyima versucht mit ihren Fingern den Spalt zu ertasten. Aber ihre Hände gehen natürlich einfach durch den Felsen hindurch. ‚Der Amerikaner!‘

Zurück bei Jimmy, der inzwischen seinen Oberkörper aufgerichtet hat, aber immer noch mit angezogenen Beinen auf dem Felsboden hockt: ‚Amerikaner, kannst du stehen?‘

Jimmy versucht es, rutscht aber kraftlos wieder auf den Boden zurück.

‚Da ist Pulver auf deinem Hemd. Mach den Finger mit Speichel feucht und tupfe etwas von dem Pulver ab. Dann steck den Finger mit dem Pulver in den Mund und leck das Pulver ab. Das wird dir gut tun.‘

Das Pulver brennt auf seinen Wangenschleimhäuten und seiner Zunge und schmeckt extrem bitter. Aber es bringt Jimmy rasch auf die Beine.

Nyima führt ihn hinter Darius‘ Sarkophag und zeigt ihm den Spalt im Fels. Seine Hände ertasten die Lücke zwischen zwei Felsblöcken. Der Soldat holt sein großes Messer aus seiner Gürteltasche. Die Klinge passt in den Spalt. Jimmy versucht einen Hebel anzusetzen. Aber er weiß nicht, in welche Richtung er drücken soll. Und ob sich hier überhaupt etwas bewegen lässt.

Nyima stimmt unterdessen ihr tiefes OM an, was in dieser Prunkhalle aus Stein und Gold eine gewaltige Resonanz hat. Sogar die Felswände scheinen leicht in Resonanz zu gehen. Und tatsächlich bewegt sich etwas unter Jimmys Messer. Er drückt das Messer mit aller Kraft nach rechts. Etwas im Felsen ruckelt rechts von der Klinge.

‚Ok, Vielleicht lässt sich das nach rechts aufschieben.‘ Jimmy drückt nun das Messer mit aller Kraft in die entgegengesetzte Richtung. ‚Ich muss nach vorne, in meine Richtung drücken.‘

Und tatsächlich. Es bewegt sich etwas. Er muss auf sich zu hebeln. Stück für Stück kommt Jimmy eine Art quadratische, nein, eine würfelförmige Tür aus Fels entgegen, an dessen rechtem Ende eine Art Scharnier befestigt zu sein scheint. Es wird immer leichter. Jimmy nimmt seine Taschenlampe auf, die er aufrecht zwischen seine Stiefel gesteckt hatte, um seine Hände frei zu haben. Er leuchtet in die nun offene Felsnische. Was für eine Enttäuschung: leer. Leerer gehts nicht. All das für nichts?

Nyima: ‚Die Nische ist nicht leer. Im Gegenteil, Amerikaner. Ich sehe Stapel von runden Scheiben. Dünne, große Scheiben.‘

Gewohnheitsmäßig streckt Nyima ihre rechte Hand vor, will eine oberste Scheiben greifen. Aber ihre Hand geht natürlich wie nichts durch die Säule aus Scheiben hindurch.

‚Ich sehe nichts. Die Nische ist …‘ Jimmy streckt seine Hände in die Nische aus und – tatsächlich: da ist doch etwas. Jimmys Hände tasten sich an einer geriffelte Säule hoch. Er schätzt: etwa dreißig Zentimeter im Durchmesser. Mit waagerechten Riefen. Das obere Ende der Säule ist eine flache Scheibe. Intuitiv versucht Jimmy das das obere Ende der Säule, die oberste Scheibe, irgendwie zu bewegen. Schließlich hat Nyima von Scheiben gesprochen. Und tatsächlich: Jimmy muss etwas fummeln, aber es löst sich die oberste Scheibe von was auch immer. Er kann die Scheibe vom Kopf der Säule verschieben. Es scheinen fein säuberlich aufeinander gestapelte dünne Scheiben zu sein. Etwa so wie die Langspielsplatten von seinem Dad. Allerdings ungleich schwerer. Es gelingt Jimmy zwar, die für ihn immer noch unsichtbare oberste Scheibe Stück für Stück von dem Stapel herunterzuziehen, aber er kann sie kaum halten, so schwer ist sie.

‚Wie strange ist das denn? Ich habe etwas Sauschweres in den Händen, was ich kaum halten, aber überhaupt nicht sehen kann!‘

‚Es schwingt zu hoch für dich. Die Informationen auf der Scheibe. Da sind feine Zeichen oder Buchstaben eingeritzt oder eingeätzt. Ich kann Sanskrit und aramäische Buchstaben erkennen.‘
‚Wir suchen ja was Hebräisches! Ich frag mich eh, ob wir hier im Iran, noch dazu im Alten Iran, dafür richtig sind. Die haben sich ja zu Darius Zeiten noch mehr bekriegt als heute.‘ analysiert Jimmy.

‚Mag sein,‘ antwortet Nyima, knapp wie immer ‚Weißt du, wie hebräische Buchstaben aussehen, Amerikaner?‘

‚Nö, keine Ahnung. Könnte ich ja eh nicht sehen.‘

‚Hebräisch kenne ich nicht.‘ Nyima denkt nach.

‚Aber Moshe hat uns doch Worte gegeben. Kodoish, Kodoish, Kodoish. Auch so ein Energie-Mantra.‘ Jimmy denkt mit.

Kodoish, Kodoish, Kodoish, Adonai Tsebayoth. Danke, Amerikaner.‘ Nyima erinnert sich. Hoch konzentriert suchen ihre Augen die Scheibe ab, die Jimmy mit äußerster Kraft hoch hält.

‚Hier ist keines dieser hebräischen Worte zu finden.‘

Mit einem Seufzer lehnt Jimmy die schwere Scheibe aufrecht an die vergoldete Felswand. ‚Puh, was ist das bloß für ein Zeugs. Das wiegt ja echt Tonnen!‘

Nyima indes konzentriert sich auf die drei Säulen aus je etwa hundert dünnen Scheiben in der Felsnische. Sie lädt die hebräischen Worte Kodoish, Kodoish, Kodoish, Adonai Tsebayoth. in ihr Bewusstsein, lässt sie in ihrer Vorstellung mal mit goldener, mal mit feuerroter Schwingung erstrahlen. Mit diesem inneren Bild sucht die Tibeterin die drei Säulen ab. Und tatsächlich: in der dritten Säule, etwa im oberen Fünftel, gibt es eine Resonanz. Eine Linie in der rechten Säule flackert leicht in gold-rot. Nyima sieht genauer hin. Jetzt erkennt sie, dass zwei, je etwa drei Millimeter dicke Linien rot-goldenes Licht reflektieren.

‚Ich hab sie, Amerikaner. Die rechte Säule von den dreien. Etwa die zwanzigste Scheibe von oben.‘

‚Das heißt, du möchtest, dass ich zwanzig sauschwere Scheiben aus was auch immer da herunternehmen soll, die ich gar nicht sehen kann?‘

Jimmy hört die Antwort schon, bevor Nyima leise ihr ‚Ja.‘ ausspricht.

‚War klar!‘ Jimmy hebt die zweite Scheibe von der rechten Säule. ‚Und dann in der gleichen Reihenfolge wieder zurücklegen?‘

Nyima antwortet nicht auf rhetorische Fragen.

Jimmy hievt und wuchtet eine unsichtbare Scheibe nach der anderen von dem rechten Stapel und reiht sie hintereinander aufrecht an die Wand gelehnt auf. Obwohl es recht kühl ist in Darius Prunkhalle, rinnt ihm bald der Schweiß herunter. Gefühlte Tonnen hat er bewegt. Das Mitzählen ob dieses absurden Schleppens von etwas Unsichtbaren hat er längst aufgegeben, als Nyima endlich sagt: ‚Die nächste und die übernächste Scheibe.‘

Jimmy denkt: ‚Aye, aye, Sir!‘

Nyimas Reaktion ist lediglich ein wortloses Erstaunen. Die Energien dieser Worte sind der Nonne vollkommen fremd.

Jimmy stellt die beiden Scheiben separat an die Wand. Dann hebt er die erste Scheibe vom Boden hoch und will sie zurück auf den Stapel legen. Mit aller Kraft hält der Amerikaner die Scheibe waagerecht über den Stapel. Doch sie schwimmt wie auf einem Luftkissen über dem Stapel hin und her und lässt sich nicht absenken. Er spürt über seine Hände eine Kraft, die verhindert, dass er die Scheibe zurück auf den Stapel legen kann. ‚Die stoßen sich ab wie zwei gleich gepolte Magnete.‘

‚Umdrehen!‘ geht es Jimmy und Nyima nahezu gleichzeitig durch den Kopf.

Jimmy zieht die unsichtbare Scheibe in seinen Schoß, zieht das rechte Knie an, stützt damit die Scheibe ab, und wendet das schwere Unsichtbare. In dieser Ausrichtung kann Jimmy dann die Scheibe ungehindert auf den Stapel zurücklegen.

‚Durch die beiden nun fehlenden Scheiben hat sich das Energiemuster verändert.‘ erklärt Nyima, während der Amerikaner Scheibe für Scheibe umgekehrt auf den Stapel wuchtet. Er muss die Scheiben Gott sei Dank nicht per Hand akurat übereinander ausrichten. Wenn er eine Scheibe auf den Stapel legt, ruscht sie von alleine in die korrekte Position. Nun scheinen Nord- und Südpol der magnetischen Kräfte in den Scheiben zu passen. Nur die letzte Scheibe schwimmt wieder auf den magnetischen Abstoßungskräften. Er hebt sich noch einmal runter, wendet sie und dann ruckelt auch sie sich passgenau als Abschluss zurecht. Alles passt.

Nyima sieht, wie von der rechten Säule ausgehend ein Lichtstrahl durch alle drei Säulen zieht, der nach einem kurzen vergoldeten Aufhellen wieder verschwindet. Sogar Jimmy sieht, dass es in der Felsnische kurz heller geworden ist.

Nyima erkennt, dass durch die Entnahme der beiden Scheiben die drei Säulen nun exakt gleich hoch sind. ‚Die beiden hebräischen Scheiben wurden hier nur aufbewahrt, vermutlich versteckt.‘

‚Ich nehme an, ich soll die beiden Scheiben hier mitnehmen?‘ Und als spräche er zu sich selbst, ohne Nyimas Antwort abzuwarten, nimmt er seinen Militärrucksack ab, öffnet ihn und lässt die ja nicht großen, nur sehr gewichtigen Scheiben an die Rückenseite gleiten. Als Jimmy die Klippverschlüsse seines Rucksacks wieder zuschnappen lässt, erfasst die drei – Sonam hatte die ganze Zeit an Jimmys Seite gelegen – der blau-weiße Energiewirbel und spuckt sie sanft im galertigen Nichts aus. Kurz nach den Dreien aus Darius prachtvollem Grabsaal landen auch Rosa, Moshe, Jihane und Ming Chen in der Galerte des Nichts.

‚Ihr seid ein wunderbares Team. Danke.‘ werden die Sieben von Lichtwesen begrüßt, während sie noch ihre irdischen Eindrücke sortieren und allmählich registrieren, dass sie wieder in der fünten Dimension sind.

Die Vier, die vor dem Eingang die Energie gehalten hatten, brennen nun natürlich darauf, zu erfahren, was den anderen in der Höhle wiederfahren ist.

Moshe hält es gar nicht mehr aus: ‚Habt ihr Geister gesehen? War es gefährlich? Habt ihr mit Aliens gekämpft? Hat Sonam euch gerettet?‘

Der völlig aufgedrehte Junge hockt sich herunter zu Sonam, der sich sich ganz ruhig neben Moshe gelegt hatte.

‚Moshe, ich glaube der Alien bin ich.‘ will Lichtwesen den Jungen beruhigen. ‚Und ich glaube, ich bin nicht zum Fürchten.‘
‚Na, dich kenne ich ja, Lichtwesen.‘ winkt Moshe ab. ‚Du bist ja einer von den Guten. Das weiß ich ja. Aber es gibt doch auch Böse unter den Aliens.Wie in den Filmen. Gegen die man mutig kämpfen muss. Jimmy, nun erzähl doch!‘ bedrängt Moshe voll ungestümer Ungeduld den Amerikaner.

‚Wohl eher nicht, Moshe. Da muss ich dich leider enttäuschen. Keine Aliens. Da war als erstes eine Energiebarriere. Da konnte mein Kopf nicht durch. Völlig strange. Alles andere ja, aber nicht mein Kopf. War wohl mein Gehirn. Sonam, der kleine weise Kerl, ist natürlich wieder mal einfach durchspaziert. Und er hat mir schließlich geholfen da durchzukommen. Der Bursche hat mir dabei geholfen mein Gehirn auf Vordermann zu bringen.‘

Alle spüren, wie Jimmy den kleinen Hund verschmitzt aus seinem Herzen heraus angrinst.

‚Ja, und dann in dem prachtvollen Totensaal von Darius – da bin ich einfach zusammengeklappt. What a fuck! Bums, lag ich da. Keine Ahnung, was da passiert ist. Aber eins weiß ich: Nyima hat mir das Leben gerettet.‘

‚Sonam.‘ korrigiert die Nonne. ‚Sonam hat mich gerufen. Ich habe nur Steine und heilige Kräuter gebracht. Sonam hat sie auf dich gelegt, um den Fluch des Darius von dir zu nehmen.‘

‚Und wirklich keine Aliens?‘ fragt Moshe noch mal nach. Der Junge hatte sich unbemerkt an Jimmys Seite begeben.

‚Nein, Captain. Melde: No aliens at all!‘

‚Aber vielleicht doch etwas, dass ihr als Geister bezeichnen würdet.‘ ergänzt Lichtwesen. ‚Der Fluch des Darius beinhaltet auch den Schutz des Ortes durch Dschinn. Sie setzen sich auf das Kronenchakra der so weit eingedrungenen Menschen und machen es zu. Durch das verschlossene Kronenchakra kann dann keine Lebensenergie Qi mehr nachströmen. Damit ist die Lebensquelle dann abgeschnitten. Nyima hat sie als erstes entfernt.‘

‚Oha!‘ Jimmy wird noch im Nachhinein ganz plümmerant. ‚War wohl echt knapp, was?‘ stellt er mehr fest als dass er fragt.

Erstauntes Schweigen macht sich in der Gruppe breit.

‚Und…?‘ will Rosa bald in das stumme Staunen hinein wissen. ‚Habt ihr die hebräischen Buchstaben oder Worte gefunden?‘

‚Vielleicht.‘ antwortet Jimmy, während in gleichen Moment Nyima und Sonam mit einem klaren ‚Ja‘ antworten, begleitet von fröhlichem Schanzwedeln.

‚Also ich habe nichts gesehen. Ich habe lediglich eine Art bleischwere Langspielplatte, allerdings ziemlich unsichtbar, eingesteckt. Genauer gesagt, zwei von den Dingern. Ich kann sie nur fühlen und tragen natürlich, aber nicht sehen. Und Nyima kann sie sehen, aber nicht tragen. Ist ja offenbar mein Job hier. Der Kerl fürs Grobe. Ist schon ganz schön nützlich hier, mein Fleischanzug für meine Seele.‘

‚Herrlich!‘ Rosa bekommt einen Lachanfall. ‚Fleischanzug für die Seele. Ich könnt mich schmeißen!‘

Und auch Ming Chens Mundwinkel ziehen blaue Schlieren.

‚Ich kann kein Hebräisch. Nur dank Moshe, der uns das hebräische Energiemantra gegeben hat, konnten wir die entsprechenden Scheiben finden.‘ erklärt Nyima nüchtern.

‚Da waren wohl hunderte von diesen merkwürdigen Scheiben in der geheimen Felsennische, die Nyima entdeckt hat. Drei Stapel. Nyima hat dann irgendwie diese beiden hier rausgefischt. Könnt ihr die sehen?‘

Jimmy kramt in seinem Rucksack. ‚Ja, fuck. Jetzt sehe ich sie auch!‘

Und lässig zieht der Amerikaner zwei matt silbrig glänzende Scheiben hervor.

‚Das gibts doch nicht. Jetzt sehe ich sie auch. Und plötzlich wiegen die Dinger nichts mehr. Spooky. Jetzt fühlen sie sich wirklich nur noch an wie Dads Lps, nur in versilbert!‘

Jimmy platziert die beiden Scheiben in ihre Mitte und richtet sie waagerecht aus. Sie bleiben einfach dort zwischen ihnen schwebend mitten in dem galertigen Nichts.

‚Die Scheiben stammen ursprünglich nicht von der Erde.‘ erklärt Lichtwesen. ‚Das Material, aus dem sie bestehen, das kommt auf der Erde gar nicht vor. Eure Wissenschaftler könnten die Frage nach ihrer Beschaffenheit nicht beantworten. Das Material ist sehr dicht, auch von seiner Energie her. Deshalb ist es auf der Erde unter dem Einfluss der Gravitation so sehr schwer. Das Material bewegt sich an der Grenze zur derzeitigen dreidimensionalen Dichte der Erde. Deshalb konnte Jimmy die Scheiben zwar nicht sehen, aber immerhin auf der Erde anfassen. Jimmys Energie ist ja auch erhöht. Die Archäologen und die anderen Wissenschaftler, die in Persepolis tätig waren, konnten deshalb diese beiden Scheiben, aber auch die anderen, zwischen denen sie versteckt waren, weder sehen noch tasten. Und auch ihre Meßinstrumente sind zu grob dafür. Jihane. Dir fällt etwas zu den Scheiben ein, ist das richtig? Teil uns doch bitte deine Erinnerung mit. Hilf uns, zu verstehen.‘ ermuntert Lichtwesen das iranische Mädchen.

‚Ja, das kommt wieder von meinem Großvater.‘ setzt Jihane an. ‚Er weiß sehr viel von Persepolis. Und er hat uns immer viele Geschichten erzählt. Ich habe euch ja schon von dem Palastarchiv von Persepolis erzählt, das der deutsche Archäologe Herzfeld gefunden hat. Mein Großvater hat nie geglaubt, dass es nur aus Handelsverträgen und Belegen bestanden hat. Er meint, es müsste auch Inschriften des alten Wissens geben. Jetzt habt ihr, der Westen, das schon wieder etwas geraubt!‘ Jihane ist betroffen, aber auch ein wenig aufgebracht.

‚Ich glaube nicht, dass wir von dem alten persischen Wissen etwas mitgenommen haben. Diese Scheiben sind anders. Sie waren vielleicht zwischen dem alten Wissen versteckt. Die drei Säulen sind jetzt wieder, wie sie einmal waren. Sie sind jetzt wieder gleich hoch. Und sind fest zusammengefügt.‘ erklärt Nyima.
‚Aber wer sollte denn die Gelegenheit und die Macht gehabt haben, etwas in ein solch geheimes und geschütztes Archiv einzuschleusen?‘ fragt Rosa skeptisch.

‚Darius selbst. Oder Kyros der Zweite. Wahrscheinlich sogar Kyros.‘ spekuliert Jihane. ‚Vielleicht wusste Darius nicht einmal von der geheimen Felsnische. Aber egal. 538 vor Christus hat Kyros der Große ja Babylon besiegt. Er befreite daraufhin auch das Volk Israel aus seiner langen babylonischen Gefangenschaft und Knechtschaft. Kyros erlaubte den Israelis sogar, nach Jerusalem zurückzukehren. Und obendrauf gab er ihnen sogar noch Mittel aus seinem persischen Staatsschatz, damit die Israelis ihren Tempel in Jerusalem wieder aufbauen konnten. Perser, Iraner, sind sehr friedliche und tolerante Menschen. Das möchte ich einfach noch mal deutlich sagen. Kyros ist sogar der einzige Ungläubige – ihr sagt Heide – der in eurem Alten Testament positiv erwähnt wird. Cyrus heißt er dort. Ich meine, er wird sogar ‚Gottgesalbter‘ genannt. Ich weiß nur noch die Stelle: Jesaja 45.1. Zahlen kann ich mir halt besonders gut merken.‘
‚Ah.‘ wirft Rosa ein. Ihr Verstand freut sich mit gewisser Erleichterung, dass nun etwas wie ein einem Puzzle endlich zusammenzupassen scheint. ‚Da haben wir endlich die Verbindung. Die Verbindung zwischen dem Iran, Persepolis und den Juden. Jetzt kommt langsam Sinn in die Sache. Warum wir ausgerechnet hier im Iran nach heiligen hebräischen Schiftzeichen gesucht und sogar gefunden haben.‘

Und zu Moshe gewandt: ‚Kannst du hier auf der Scheibe irgendetwas lesen, Moshe?‘

Moshe konzentriert sich auf die beiden silbrigen Scheiben, die vor ihm auf Augenhöhe schweben. Aber er kann nur vereinzelte hebräische Buchstaben entziffern: ‚Ich seh nur einzelne Buchstaben. Schon hebräisch. Aber kein Wort. Doch: Kodoisch. Aber nur Kodoisch. Das heißt ja heilig. Sonst nur einzelne Buchstaben. Verstreut. Aber kein weiteres vollständiges Wort, kein einziges. Jedenfalls kein Wort, das ich verstehen oder lesen kann.‘

‚Offensichtlich hat Nyimas konzentriertes Bewusstsein nur das Wort Kodoisch auf der Scheibe materialisiert.‘ erklärt Lichtwesen. ‚Wenn alle fünf Sprachen zusammenkommen, vermutlich werden dann diese Scheiben vollständig aktiviert.‘
‚Und so lange schleppe ich die über die Erde?‘ beschwert sich Jimmy.

‚Ja Jimmy. Es ist besser, du nimmst sie mit. Ich glaube, sie sind eher hilfreich als beschwerlich.‘
‚Wenn du meinst.‘ grummelt Jimmy in Gedanken in sich hinein. ‚Bin eh nur der Kerl fürs Grobe!‘
‚Nein, die Schnittstelle.‘ Der Einwurf kommt von Sonam, der sich wieder zu seinem amerikanischen Freund gesellt hat. ‚Ohne dich geht hier gar nichts!‘

‚Nachdem die Aufgaben noch einmal geklärt sind – seid ihr bereit für die nächste Etappe?‘

Und noch ehe Lichtwesen die letzte Silbe gedacht hat, trägt der blau-weiße Lichtwirbel die Sieben schon davon.

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