Ich möchte mit Euch hier eine Geschichte aus meinem Buch „Übergang ins Licht“ teilen, die mich vor vielen Jahren schon sehr berührt hat und es immer wieder tut, wenn ich an sie denke oder sie erzähle.
Der Schleier zwischen den Welten
Eine Leserin hat mir folgende wunderbare Geschichte zugeschickt:
„Es war ein Tag im August – sonnig und heiter. Ich arbeitete im Garten. Neben mir auf der Wiese grasten die Kühe. Über den Zaun hinweg sah ich eine Kuh, flach ausgestreckt, sie bewegte sich nicht. Als ich nach einiger Zeit wieder hinsah, hatte sich ihre Lage nicht verändert. Ich wurde unruhig und beobachtete genauer. Sie war tot.
Im Laufe des Nachmittags versuchte ich verschiedentlich, den Bauern telefonisch zu erreichen, um ihn zu informieren, doch erst gegen Abend sprach ich mit ihm. Bis zum Dunkelwerden wurde die Kuh nicht abgeholt und ich kümmerte micht um persönliche Wichtigkeiten, also ich vergaß die Geschehnisse von nebenan.
Nachts wurde ich wach. Ich hörte einen nie gehörten Ton – tief, an- und abschwellend. Ich stieg aus dem Bett, ging dem Geräusch nach und sah aus dem Flurfenster auf die Wiese. Es war Vollmond. Die Wiese war durchwoben von einem sanftem Bodennebel. Silberfarbenes Licht verschleierte Pflanzen und Bäume, doch war eine gespenstische Klarheit über allem, die jede einzelne Kontur erkennen ließ.
In meinem Blickfeld sah ich einen dunklen Kranz aus Körpern. In der Mitte lag die tote Kuh. Rundherum formten die Leiber der übrigen Kühe einen Kreis – urgewaltig, Körper an Körper, leicht nach innen gebogen, um die Rundung zu schaffen. Der Kopf einer Kuh lag in der Krümmung des Rückens der vorderen, das Haupt leicht erhoben, das Maul geöffnet, um den Ton zu geben, der wie ein einziger qualvoller Schrei war, ein Klang, der allen Schmerz, alles Leid dieser Welt beinhaltete, lauter, leiser, wie ein Fließen. Der Kreis dieser Tiere war zwei- oder dreifach, eng ineinander verflochten, als wären sie eins, genauso wie der Ton eine Einheit darstellte.
Es war nicht mehr, nur ein Im-Kreis-Gehen ohne Ende, eine Klage in eine nie geahnte Grenzenlosigkeit. Ich stand und sah, ich weiß nicht, wie lange, Zeit gab es nicht mehr. Irgendwann zog ich mich vorsichtig zurück. Ich hatte das Gefühl, dass ich etwas gesehen hatte, was eigentlich für Menschenaugen verborgen sein sollte, ein Ritual der Tierwelt.
Am nächsten Morgen sah ich auf die Wiese. Die tote Kuh war nicht mehr da, nur noch ein ausgetretener schwarzer Ring, zerstampft von unendlichen Hufen.“
Frau R. hatte ein Geschenk aus der geistigen Welt erhalten: Sie durfte einen Blick durch den Schleier in eine andere Dimension tun. Und vielen Dank an Frau R., dass sie mich an ihrem Einblick hat teilhaben lassen und dass ich meinen Lesern diese Geschichte zur Verfügung stellen darf.